Aller Anfang ist schwer (2) - Oh Gott, er kommt

von Edgar Selting (Kommentare: 0)

„Gute Nacht Heini, in drei Tagen sehen wir uns.“

Kaum ist das Telefonat zu Ende, schießen wilde Gedanken durch Elfriedes Kopf: „Oh nein, wie sieht denn meine Wohnung aus? Was macht das denn für einen Eindruck. Der denkt ja dann Gott weiß was von mir. Und was ziehe ich bloß an?

„Ach Tienchen,“ seufzt sie und schaut ihre kleine „Maus“ ein bisschen verzweifelt an: „Ich muss unbedingt noch Tilda anrufen!“

Und so klingelt bei Mathilda Jonas - mitten in der Nacht - das Telefon: „Jonas hier“, brummt die verschlafen klingende Stimme von Titus Jonas ins Telefon.

„Ups, es ist vielleicht doch etwas spät für einen Anruf bei Tilda…“ Dann sagt sie laut: „Moin Titus. Das ist ein Notfall. Ich muss ganz dringend mit Tilda sprechen.“

„Hier Tilda, hallo Elly. Was ist denn passiert, dass Du mitten in der Nacht anrufst? Ist was mit Tienchen oder Deiner Tochter?“ „Ach papperlapapp, Tienchen schläft schon in ihrem Körbchen und von Lotte habe ich schon ein paar Tage nichts mehr gehört. Seit sie an ihrer Bachelorarbeit schreibt, meldet der sich kaum noch. … Der Heini kommt in drei Tagen, ach nein, übermorgen schon und ich muss bis dahin noch so viel erledigen!“ Ein bisschen gehetzt fährt sie fort: „Ich habe, nichts Passendes anzuziehen, Ich muss die Wohnung noch putzen und eigentlich müsste ich noch zum Frisör. Aber das kann ich unmöglich morgen alles schaffen!“

„Wer ist Heini?“, fragt Tilda dagegen ganz trocken zurück als handele sich um eine Zutat für ein Backrezept.

„heini_29, den ich auf der Dating-Plattform „Matschliebe“ kennengelernt habe. Ich habe Dir doch vor ein paar Tagen beim Grillen von ihm erzählt.“ Elfriedes Stimme überschlägt sich jetzt fast. „Ich brauche Deine Hilfe! Du musst mich unterstützen! Beste Freundinnen tun das!“, quengelt sie weiter. „Kommst Du morgen um 8 zum Frühstück? Ich lade Dich ein. Dann können wir alles besprechen.

„Na gut,“ seufzt Tilda ergeben. „Aber ich werde auf GAR KEINEN FALL Deine Wohnung putzen!“

„Ok“, erwidert Elfriede ein bisschen sehr leise. „Gute Nacht.“ Dann beendet sie erleichtert das Gespräch.

„Siehst Du, Tienchen, Auf Tilda ist Verlass“, murmelt sie noch, bevor sie endlich einschläft.

Pünktlich um acht Uhr am nächsten Morgen erscheint eine noch etwas müde Tilda bei Elfriede zum Frühstück. „Moin Tilda, das Wetter ist so herrlich, da habe ich draußen für uns gedeckt."

„Und jetzt erzähl mal. Du triffst Dich mit einem Mann, den Du auf „Matschliebe“ kennengelernt hast und der kommt zu Dir? Wenn das mal gut geht? Nachher ist das ein Sittenstrolch. Man liest ja so viel davon im Internet. Und erst vorgestern war es wieder in den Nachrichten: Reiche Witwe von Heiratsschwindler um ihr Vermögen gebracht!“

Empört hebt Elfriede die Hände und verschüttet dabei fast ihren Kaffee. Dann meint sie. Aber das weiß der doch gar nicht.

Ich meine, dass ich Witwe bin, schon, aber nicht, dass mein Günni – Gott hab‘ ihn selig – mir einen Wertstoff- und Requisitenhandel hinterlassen hat. Außerdem müsste ich das ganze Zeugs zuerst einmal verkauft bekommen. Heute werden die meisten Sachen, die noch da sind, gar nicht mehr angefragt. Das kostet inzwischen fast mehr Geld als ich damit noch verdiene.“

Tilda hört nur halb zu und zeigt auf ihr Tablet. Da ist ein Bild der noch „etwas“ jüngeren Elfriede zu sehen: „Er könnte Dich gegoogelt haben… Sittenstrolche und Betrüger machen das. Erst das Opfer im Internet ausspähen und dann zuschlagen!“

„Schluss jetzt!“, sagt Elfriede energisch und kämpft fast schon mit den Tränen „So einer ist der Heini nicht!“ Tilda seufzt noch einmal, dann gibt sie auf. „Dann stürz‘ Dich doch in Dein Unglück, aber sage hinterher bitte nicht, ich hätte Dich nicht gewarnt.“

Die beiden machen sich an den Plan für den Tag. „Den Wohnungsputz können wir schon mal abhaken. Ich habe eben schon bei „Blitz & Blank“ angerufen. Die schicken gleich ein Reinigungsteam vorbei. Zum Glück hatten sie noch eines frei, weil jemand anders abgesagt hat. Kannst Du denen ein wenig auf die Finger schauen?“ „Wird erledigt.“ „Supi, dann fahre ich gleich in die Boutique und kaufe mir was Schickes zum Anziehen.“

Und während das Putzteam auch schon erscheint und von Tilda empfangen wird, rollert Elfriede los.

„Palimpalim“ meldet sich die Türglocke beim Betreten der Boutique. „Guten Tag“, wird sie von der Verkäuferin begrüßt: „Darf ich Ihnen helfen oder wollen Sie sich zuerst einmal umschauen?“ „Ich suche etwas Passendes für ein Date“, sagt Elfriede etwas schüchtern und wird sogar ein bisschen rot dabei. „Reiß Dich zusammen, Du benimmst Dich ja schlimmer als ein Teenager mit den ersten Schmetterlingen im Bauch“, ermahnt sie sich selbst.

Dann fährt Sie, schon wieder mit festerer Stimme, fort: „Ich hätte gern etwas Seriöses, aber ruhig einen Hauch verspielt, dazu elegant und sportlich, so, dass ich darin eine gute Figur mache. Und es darf gern ein bisschen sexy und verführerisch sein,“ fügt sie noch hinzu und wird schon wieder leicht rot. „Aber nicht zu sehr, ich bin schließlich keine 20 mehr…“

„Da finden wir bestimmt etwas. Ich suche ihnen ein paar Kleider heraus und Sie probieren sie an,“ meint die Verkäuferin mit ein wenig Zweifel in ihrer Stimme. Leise, sodass Elfriede es nicht verstehen kann, murmelt sie: „Ob es sowas überhaupt gibt?“

„Sehr schick, aber es zwickt doch etwas. Haben Sie das eine Nummer größer?“ „Nein, aber wir haben eine sehr gute Schneiderin, die würde Ihnen das heute noch anpassen.“

„Vor 20 Jahren hätte ich sowas noch tragen können und schwarz ist doch für ein Date etwas zu schwarz. Dafür ist auch meine Haut zu blass.“

„Oh nein, ich habe ein Date. Das ist ja schon fast ein Brautkleid. Heiraten möchte ich morgen nicht.“

„Das ist zu eng. Darin kann ich mich ja gar nicht richtig bewegen.“

Zur selben Zeit nimmt Tilda ihre Aufgabe sehr ernst: „Junger Mann, immer zuerst und vor allen SORGFÄLTIG die Ecken putzen. Das Übrige wird dann automatisch auch sauber… Das Fenster machen Sie doch bestimmt noch einmal! Die Streifen waren heute morgen noch nicht da!“

„Ein bisschen OBACHT, junge Dame! Wenn Sie statt des Fensterreinigers den Fettlöser benutzen, ist der Herd im Nu sauber!“

„Ja haben wir denn schon Nikolaus?“

„Huch, das ist aber arg kurz, bestimmt im Sonner schön für den Strand, aber wenn ich das morgen anziehen würde… Da denkt ein Seemann wie Heini vielleicht, ich arbeitete auf der Reeperbahn oder in der Herbertstraße.“

„Das gefällt mir und es sitzt tadellos… Aber für ein Date sieht es mir dann doch zu sehr nach Business aus.“

„Ich nehme doch das Kleid, das ich zuerst probiert habe. Geben Sie es mir bitte noch einmal für eine letzte Anprobe?“ …

„Da haben sie wirklich ein außergewöhnlich schickes Kleid gefunden. Sie werden darin hinreißend aussehen. Die Änderungen gebe ich sofort in Auftrag. Sie können es morgen früh abholen.“ „Palimpalim“

Elfriede freut sich, dass sie so ein schickes Kleid gefunden hat. „Was der Heini wohl dazu sagen wird? Ob ich ihm darin gefalle?“, überlegt sie und rollert heim.

Gerade als sie dort ankommt, ist auch das Putzteam fertig. „So eine Drachin! Gib mir mehr davon und ich kündige!“; hört sie die beiden tuscheln. Elfriede lacht verschmitzt. „Ja, auf Tilda ist Verlass.“

„Moin Tilda! Wow, die beiden waren aber fleißig. Alles ist blitzblank“, begrüßt Elfriede ihre Freundin und begutachtet das Ergebnis der Putzaktion.

Als Tilda schon aus der Haustüre raus ist, blickt sie sich noch einmal nachdenklich um: „Wenn das mal gut geht…“ und steigt dann zu ihrem Mann, der sie abholt, ins Auto.

Ihre Sorge wächst. „Du Jonas, ich weiß nicht, ich weiß nicht… Da stimmt etwas nicht bei Elly.“ „Ist sie krank?“ „Ne, viel schlimmer. Ich glaub, die is‘ mannstoll oder liebestoll oder was auch immer. Und morgen hat sie ein Date mit einem Seemann. Von denen hört und liest man ja auch so einiges... Und selten etwas Gutes. Lass uns morgen mal auf die Elli aufpassen. Ich rufe gleich noch Örnie und Bört an. Die beiden passen bestimmt auch mit auf.

Und was machen Elfriede und Heinz? Die telefonieren schon wieder. „Wie, Dein Auto ist kaputt? … Jetzt bist Du mit dem Zug unterwegs? … Du übernachtest mit Lumpi in einer Bahnhofsmission, weil der Zug Verspätung hatte? … Deshalb hast Du den Anschlusszug verpasst? … Soll ich Dich morgen vom Bahnhof abholen? … Ach so, Du hast Dein Fahrrad dabei und weißt noch nicht genau, um welche Uhrzeit Du hier bist… Dann bis morgen… und Heini,“ flüstert Elly ganz leise: „Ich hab‘ Dich schon ein bisschen lieb… Du mich auch? … Das ist schön… Gute Nacht.“

Fortsetzung folgt...

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